
Es ist eines der größten und vielleicht sogar großkotzigsten Bauvorhaben, die der Weltfußball je gesehen hat. Chelseas neues Stadion an alter Stätte soll 55.000 statt bisher 42.000 Zuschauer Platz bieten. Auch die „Extras“ können sich sehen lassen: viel mehr VIP-Boxen als bisher, teure Tiefgaragenplätze, edle Restaurants sowie exquisite Boutiquen. Und als unmissverständliches Zeichen der fußballerischen Macht will Klubeigentümer Todd Boehly im Zugangsbereich zwei gigantische Löwenskulpturen postieren – jede in etwa so groß wie King Kong.
Das Projekt wird vorab mit rund zwei Milliarden Pfund (über zwei Milliarden Euro) beziffert – und wurde nun von einem Londoner Gericht auf Eis gelegt. Bis auf Weiteres, per einstweiliger Verfügung. Der zuständige Richter hatte den Verkauf eines Nachbar-Grundstücks an den FC Chelsea untersagt, denn darauf befinden sich die „Sir Oswald Stoll Mansions“, ein Wohnheim für Veteranen des britischen Militärs. Der historische Gebäudekomplex aus den Jahren 1917 bis 1923 steht gleich neben dem bisherigen Stadion an der Stamford Bridge und soll im Zuge des raumfordernden Neubaus einfach weggerissen werden. So der Plan.
Doch wie es scheint, stößt Boehly, der gern nach dem ur-amerikanischen Motto „Money talks, Bullshit walks“ verfährt, auf heftigen Widerstand. Denn der Hauptkläger, laut The Sun ein gewisser Geoffrey Reed, ist nicht allein. An seiner Seite kämpfen etwa 100 weitere Armee-Veteranen und einige Dutzend Soldaten-Witwen, die alle in dem Wohnheim leben. Die meisten sind bereits 60 oder älter. Viele der ehemaligen Soldaten haben in Afghanistan oder im Irak schwere Kriegsverletzungen davongetragen, andere leiden unter PTBS: dem gefürchteten Posttraumatischen Belastungs-Syndrom. Sie haben im Dienst ihre Gesundheit geopfert, nun wollen sie nicht auch noch ihr Zuhause verlieren.
„Die Leute hier werden nicht einfach weggehen“
Für den in seinem früheren Leben so erfolgsverwöhnten Boehly ist das gleich doppelt bitter, denn: Zum einen rangierte sein teures Fußballteam in der Premier-League-Tabelle des Kalenderjahres 2023 zuletzt auf dem vorletzten Platz, der Big-Boss bräuchte also dringend etwas positive Presse. Zum anderen ist das neue Stadion an der Stamford Bridge eine tragende Säule in Boehlys wirtschaftlichem Zukunftskonzept für den FC Chelsea. Irgendwie muss der teure Spaß ja auch refinanziert werden.
Aber auch die Argumente der Veteranen sind kaum von der Hand zu weisen. Die Schließung des Wohnheims mit seinen 157 Appartements „würde die örtliche Community schwächen und den Bewohnern schaden, von denen viele vulnerabel sind und die alle ihrem Land gedient haben“. Das erklärte der Anwalt des Hauptklägers vor Gericht und bekam zumindest vorläufig Recht.
Einen schnellen Baubeginn kann Todd Boehly also vergessen. Geht es nach dem Armee-Veteran Matthew Bignell, muss der Texaner sein Prestigeprojekt sogar komplett in die Tonne treten: „Die Leute hier werden nicht einfach weggehen. Sie müssten vor Gericht gestellt werden und Räumungsbescheide erhalten“, erklärt der 36-Jährige in der Sun und gibt sich starrköpfig: „Ich könnte es mir physisch und finanziell leisten, von hier wegzuziehen, aber das werde ich wahrscheinlich nicht, um meine Solidarität mit den übrigen Mietern zu demonstrieren.“
„Meine Ängste sind überwältigend“
Ein anderer Veteran stellt klar, er könne gar nicht aus dem Heim ausziehen – nicht einmal, wenn er es wollte: „Aufgrund meiner posttraumatischen Belastungsstörung fällt es mir schwer, meine Wohnung zu verlassen“, sagt Colin Tisco, „deshalb bin ich in Behandlung. Meine Ängste sind überwältigend. Immer wenn ich die Newsletter mit Informationen über die Stadionpläne bekomme, gehen bei mir alle Klappen zu. Das Verlassen der Wohnung macht mir Angst. Und wenn ich die Wohnung nicht angstfrei verlassen kann, wird der Umzug traumatisch.“
Todd Boehly hat sich zu solchen Einzel-Schicksalen bislang nicht geäußert. Doch er hatte scheinbar geahnt, dass der Neubau an der Stamford Bridge nicht so leicht durchzuboxen wäre. Deshalb brachte er vor kurzem einen Alternativ-Ort ins Gespräch: den benachbarten Londoner Stadtteil Battersea, der nur durch die Themse von Chelsea getrennt ist. Der anschließende Shitstorm aus den Reihen der Fans tobte so heftig, dass auch diese verwegene Idee kaum realisierbar scheint.
Vielleicht, so meinen Spötter, sollte Boehly bei seinen Stadionplänen einfach etwas kleiner denken. Schließlich habe der FC Chelsea mit zwei Punkten aus den ersten sechs Partien gerade seinen schwächsten Erstliga-Start seit der Abstiegs-Saison 1978/79 hingelegt. Und in der zweitklassigen Championship benötige man nun wirklich keine 55.000-Zuschauer-Spielstätte.
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